Evangelische Kirchengemeinde Bauschheim

 

 

Gottesdienste im Dezember


1. Advent
Sonntag, 3. Dezember, 14.00 Uhr
Ökum. Gottesdienst zum Weihnachtsmarkt
(auf dem Kerweplatz)
(Pfrn. Schneider-Oelkers und Pfr. Eich)

2. Advent
Sonntag, 10. Dezember, 9.30 Uhr
Gottesdienst mit Abendmahl
(Pfrn. Schneider-Oelkers)
Gäste: SKG-Musikzug

3. Advent
Sonntag, 17. Dezember, 9.30 Uhr
Gottesdienst mit Taufen und Krümelchor
(Pfrn. Schneider-Oelkers)

 

 

Gottesdienste
Weihnachten & Jahreswechsel


4. Advent
Heilig Abend, Sonntag, 24. Dezember 2023
16.00 Uhr - Gottesdienst für alle Generationen

18.00 Uhr - Christvesper

22.00 Uhr - Christmette


1. Weihnachtstag, 25. Dezember, 9.30 Uhr
Gottesdienst mit Abendmahl

2. Weihnachtstag, 26. Dezember, 17.00 Uhr
Gottesdienst mit Krippenspiel

Altjahresabend, 31. Dezember, 17.00 Uhr
Jahresschluss-Gottesdienst mit Abendmahl

Neujahr, 1. Januar 2024, 17.00 Uhr
Mainspitzweiter Gottesdienst zum neuen Jahr


 

Volkstrauertag 2023

Ansprache zur Gedenkfeier
der Stadt Rüsselsheim auf dem Friedhof in Bauschheim

 

Pfarrerin Ellen Schneider-Oelkers (es gilt das gesprochene Wort)

 

Sehr geehrte Damen und Herren,

„An die Nachgeborenen“ - so ist ein Gedicht über-schrieben, das zu einem der wichtigsten Texte gehört, die deutsche Dichter in den finsteren Jahren verfasst haben, in denen der Schatten der nationalsozialistischen Gewalt ganz Europa - und nicht nur Europa - verdunkelte.

Das Gedicht stammt von Bertolt Brecht.
Geboren im Jahre 1898 hatte er den 1.Weltkrieg als Jugendlicher miterlebt, und zwar hautnah, buchstäblich hautnah: Als ganz junger Sanitäts-Soldat, frisch von der Schulbank eingezogen, sah er sich auf einmal mit den Wunden konfrontiert, die der Krieg in die Körper und in die Seelen von Soldaten schlug.
Gleichaltrige mit verätzten Gesichtern…
Männer, denen Arme oder Beine amputiert wurden - auch ohne Betäubung, wenn’s nicht anders ging…
Menschen, die sich verkrochen, um das unkontrol-lierbare Zittern zu verstecken, das Angriffe mit Bomben ausgelöst hatten…
Auch die Zeit, die dann kam, die Zeit der Weimarer Republik, war eine schwierige: Das demokratische Staatswesen hatte von Anfang an mit politischen und wirtschaftlichen Krisen zu kämpfen. Adolf Hitler und seine Gesinnungsgenossen ergriffen schon am 8./9. November 1923 die Gelegenheit für einen Putsch, der die Reichsregierung stürzen sollte.
Der Putsch scheiterte zwar, aber knapp 10 Jahre später, am 30.Januar 1933, hatten die Nazis und ihre Anhänger ihr Ziel erreicht: Adolf Hitler wurde zum Reichskanzler ernannt - und was dann folgte, wissen vermutlich alle hier.
Abermillionen von Menschen kamen zu Tode - nicht allein auf den Schlachtfeldern: Viele wurden aufgrund ihrer politischen Überzeugung, ihrer Religion oder ihrer sexuellen Ausrichtung auf offener Straße, in ihren Wohnungen oder in sogenannten Konzentrations-lagern ermordet.
Nicht so vielen gelang die Flucht ins Ausland.
Bertolt Brecht war einer von ihnen - er floh mit seiner Familie auf die Insel Fünen, die zu Dänemark gehört.
Dort ist das Gedicht „An die Nachgeborenen“ entstanden - irgendwann zwischen 1933 und 1938; veröffentlicht wurde es 1939 in Paris.

Geben Sie mir einen Augenblick Zeit, es vorzutragen - und nehmen Sie sich einen Augenblick Zeit, es anzuhören und das, was der Autor da beschreibt, vor den inneren Augen aufstehen zu lassen:

 

AN DIE NACHGEBORENEN
I
Wirklich, ich lebe in finsteren Zeiten!
Das arglose Wort ist töricht. Eine glatte Stirn
Deutet auf Unempfindlichkeit hin. Der Lachende
Hat die furchtbare Nachricht
Nur noch nicht empfangen.
Was sind das für Zeiten, wo
Ein Gespräch über Bäume fast ein Verbrechen ist
Weil es ein Schweigen über so viele Untaten einschließt!
Der dort ruhig über die Straße geht
Ist wohl nicht mehr erreichbar für seine Freunde
Die in Not sind?
Es ist wahr: ich verdiene noch meinen Unterhalt
Aber glaubt mir: das ist nur ein Zufall. Nichts
Von dem, was ich tue, berechtigt mich dazu, mich satt zu essen.
Zufällig bin ich verschont. (Wenn mein Glück aussetzt
Bin ich verloren.)
Man sagt mir: iß und trink du! Sei froh, daß du hast!
Aber wie kann ich essen und trinken, wenn
Ich es dem Hungernden entreiße, was ich esse, und
Mein Glas Wasser einem Verdurstenden fehlt?
Und doch esse und trinke ich.
Ich wäre gerne auch weise
In den alten Büchern steht, was weise ist:
Sich aus dem Streit der Welt halten und die kurze Zeit
Ohne Furcht verbringen
Auch ohne Gewalt auskommen
Böses mit Gutem vergelten
Seine Wünsche nicht erfüllen, sondern vergessen
Gilt für weise.
Alles das kann ich nicht:
Wirklich, ich lebe in finsteren Zeiten!

II
In die Städte kam ich zu der Zeit der Unordnung
Als da Hunger herrschte.

Unter die Menschen kam ich zu der Zeit des Aufruhrs
Und ich empörte mich mit ihnen.
So verging meine Zeit
Die auf Erden mir gegeben war.
Mein Essen aß ich zwischen den Schlachten
Schlafen legt ich mich unter die Mörder
Der Liebe pflegte ich achtlos
Und die Natur sah ich ohne Geduld.
So verging meine Zeit
Die auf Erden mir gegeben war.
Die Straßen führten in den Sumpf zu meiner Zeit
Die Sprache verriet mich dem Schlächter
Ich vermochte nur wenig. Aber die Herrschenden
Saßen ohne mich sicherer, das hoffte ich.
So verging meine Zeit
Die auf Erden mir gegeben war.
Die Kräfte waren gering. Das Ziel
Lag in großer Ferne
Es war deutlich sichtbar, wenn auch für mich
Kaum zu erreichen.
So verging meine Zeit
Die auf Erden mir gegeben war.

II
Ihr, die ihr auftauchen werdet aus der Flut
In der wir untergegangen sind
Gedenkt
Wenn ihr von unseren Schwächen sprecht
Auch der finsteren Zeit
Der ihr entronnen seid.
Gingen wir doch, öfter als die Schuhe die Länder wechselnd
Durch die Kriege der Klassen, verzweifelt
Wenn da nur Unrecht war und keine Empörung.
Dabei wissen wir ja:
Auch der Hass gegen die Niedrigkeit
Verzerrt die Züge.
Auch der Zorn über das Unrecht
Macht die Stimme heiser. Ach, wir
Die wir den Boden bereiten wollten für Freundlichkeit
Konnten selber nicht freundlich sein.
Ihr aber, wenn es soweit sein wird
Dass der Mensch dem Menschen ein Helfer ist
Gedenkt unsrer
Mit Nachsicht.

 

Das Gedicht ist mir im Lauf der Jahre immer mal wieder in den Sinn gekommen.
Aber seit dem 7.Oktober diesen Jahres, seit dem grausamen Angriff der Hamas-Terroristen auf israelische Frauen, Männer, Jugendliche und Kinder, seit dem 7.Oktober geht es mir besonders nahe.

 

Aus welchem Grund?
Aus einem Grund, der mich erschreckt:
Das Gedicht, es zeigt mir, dass ich offenbar die Seiten gewechselt habe - ohne dass ich es wollte, aber auch ohne, dass ich es überhaupt bemerkt habe.
Die meiste Zeit meines 60jährigen Lebens sah ich mich selbst immer auf der Seite der „Nachgeborenen“, die Bertolt Brecht da anspricht:
Als ich geboren wurde, war der 2. Weltkrieg ja schon 18 Jahre vorbei - und viele seiner äußeren Spuren schon beseitigt.
Die Auseinandersetzung mit dem, was da passiert war, geschah im Geschichtsunterricht - und wir 16-, 17-, 18-jährigen, wir waren alle fest überzeugt davon, dass wir den „Anfängen gewehrt hätten“, dass wir den nationalsozialistischen Rattenfängern nicht auf den braunen Leim gegangen wären, dass wir die Stimme erhoben und uns für jüdische Freund*innen und überhaupt für alle Gefährdeten und Verfolgten eingesetzt hätten.
Natürlich hätten wir das! Gar keine Frage!
Aber stimmt das denn? Stimmt das noch?
Hätten wir wirklich?
Haben wir wirklich?
Das ist die Frage!
Die Antwort - so fürchte ich und davor erschrecke ich - die Antwort auf diese Frage lautet Nein!
Nein, wir - unsere Generation - wir haben den Anfängen nicht gewehrt!
Wir haben zugelassen, dass radikale Hass-Prediger ihr Unwesen treiben - mitten unter uns.
Wir haben weggeguckt, wenn ein Mensch mit Kippa oder Stern an der Halskette in der S-Bahn „ange-macht“ wurde - aus Angst, da in „irgendwo“ rein-zugeraten.
Wir haben weggehört, wenn jemand im Freundes- oder Verwandtenkreis mal wieder was raunte vom „Einfluss, den das internationale Judentum auf die Weltpolitik hat“.
Und dass sich eine Partei in Deutschland etablieren konnte, die die dunkelsten Jahre unserer Geschichte als „Fliegenschiss“ abtut, mag uns vielleicht ja beun-ruhigt haben, mehr aber auch nicht…
Nein, wir „Nachgeborenen“ haben den Anfängen nicht gewehrt!
Und wenn wir’s doch getan haben oder doch tun, dann offenbar nicht in ausreichendem - also wirksamem - Ausmaß.
Ja, die Meinungs- und Versammlungsfreiheit ist ein hohes Gut - aber Aufruf zum Mord fällt nicht darunter.
Ja, es ist wichtig, sich in Gefahr selbst zu schützen - aber ein Anruf bei der Polizei ist auch aus sicherer Entfernung möglich.
Und ja, bei der Familienfeier keinen unnötigen Streit vom Zaun brechen zu wollen, ist verständlich - aber manchmal muss dieser Streit einfach geführt werden, sonst bleibt einem mehr im Hals stecken als nur trockener Kuchen…

 

„An die Nachgeborenen“, so hat Bertolt Brecht sein Gedicht überschrieben - seit dem 7.Oktober kann ich für mich nicht mehr in Anspruch nehmen, zu diesen Nachgeborenen zu gehören.
Seit diesem Tag spüren ich, dass ich die Seiten gewechselt habe - und dass ich jetzt auch zu denen gehöre, die eigene Fehler und Versäumnisse anerkennen müssen und nur an die Nachsicht der Generationen appellieren können, die nach ihnen kommen werden:
Ihr, die ihr auftauchen werdet aus der Flut
In der wir untergegangen sind
Gedenkt
Wenn ihr von unseren Schwächen sprecht
Auch der finsteren Zeit
Der ihr entronnen seid.
….

Auch der Hass gegen die Niedrigkeit
Verzerrt die Züge.
Auch der Zorn über das Unrecht
Macht die Stimme heiser. Ach, wir
Die wir den Boden bereiten wollten für Freundlichkeit
Konnten selber nicht freundlich sein…

 

Angesichts all‘ dessen, gibt es da überhaupt noch einen Grund zu hoffen?

Ja, gibt es!
Am Schluss seines Gedichts schreibt Bertolt Brecht:
Ihr aber, wenn es soweit sein wird
Dass der Mensch dem Menschen ein Helfer ist
Gedenkt unsrer
Mit Nachsicht.
Für mich als Christin hat der, der Menschen zum Helfer wurde wie kein anderer einen Namen:
Er heißt Jesus Christus, er ist der, der selbst wirklich gelebt hat, was er von allen, die sich auf ihn berufen, fordert:
Du sollst Gott lieben von ganzem Herzen und mit ganzer Seele - und deinen Nächsten wie dich selbst… sagt er, und: Alles, was ihr von anderen fordert, das tut auch ihnen.

 

Vielen Dank für die Aufmerksamkeit!

 

 

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